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Januar 2023

Kirchseeon: Gelenkte Demokratie

Jahrzehntelang hatte das Geschäft der Hamburger Milliardärsfamilie Otto mit Einkaufszentren glänzend funktioniert. Doch der Trend der Verbraucher hin zu immer mehr Onlinekäufen bereiteten den vielen Shopping-Centern der ECE-Firmengruppe des Alexander Otto (siehe Bild), die über fast ganz Europa verteilt errichtet wurden, schon seit einigen Jahren immer mehr wirtschaftliche Probleme. Um wieder attraktiver zu werden, wurden daher Einkaufszentren wie z.B. das Neuperlacher PEP oder das Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) in München-Moosach umgebaut.

Schließlich rissen die gravierenden Mietausfälle als Folge der coronabedingten Schließungen große Löcher in die Kassen der Cura Vermögensverwaltung, dem Family Office der Familie Otto, was sich bereits in der letzten veröffentlichten Bilanz von 2020 deutlich niederschlägt. Die bereits begonnene Diversifizierung wurde daher verstärkt fortgeführt: Profite sollen nicht mehr nur durch Gewerbebauten, sondern auch durch die Entwicklung von Wohnimmobilien-Großprojekten generiert werden.

Doch in München war die ECE damit bisher nicht erfolgreich. Der Stadtrat lehnte 2016 eine von ECE gewünschte massive Bebauung und ein 70 m Hochhaus mit Luxushotel am Busbahnhof über dem U-Bahnhof Olympiazentrum aus städtebaulichen Gründen ab. Und Ende 2021 stoppte ECE ein Projekt am OEZ für geplante 700 Wohnungen, angeblich weil bei den vom Münchner Stadtrat verschärften Regeln zur sozialgerechten Bodennutzung ("Sobon"), die bei Wohnungsentwicklungen nunmehr 60 Prozent Sozialwohnungen vorschreiben, die Wirtschaftlichkeit nicht mehr gegeben wäre.

Solche oder ähnliche Forderungen hört man in Kirchseeon, wo ECE ein noch viel größeres Projekt, nämlich die "Revitalisierung" des ehemaligen Schwellenwerks mit 1500 geplanten Wohnungen vorantreibt, (noch?) nicht. Anders als in München läuft es hier für die ECE bestens, weil Bürgermeister, Gemeinderat und Verwaltung sich bereitwillig vor den Karren der Interessen von ECE haben spannen lassen.

Denn wie anders soll man es interpretieren, dass ausgerechnet die Firma FIRU mbH aus Kaiserslautern und ihr geschäftsführender Gesellschafter Andreas Jacob, die seit vielen Jahren eng mit der ECE bei der Projektentwicklung zusammenarbeiten, von der Gemeinde als angeblich "neutraler externer Moderator" sowohl für die nichtöffentlichen "Workshops" des Gemeinderats, als auch für die "Auftaktveranstaltung zum Bürger-Dialog-Prozess" am 27. Juli 2022 in der ATSV-Halle und die "Bürgerbeteiligung" in mehreren Arbeitskreisen beauftragt wurden?

Die Mindener Rundschau brachte es vor einiger Zeit mit zwei Zitaten auf den Punkt: "Wenn man recherchiert, steckt eigentlich bei allen Akteuren ‚ECE‘ drin" und "Da kann man sich doch vorstellen, wessen Positionen man bei der FIRU mbH […] vertritt. Es wäre in etwa so, als wenn man Dr. Marlboro beauftragen würde, als Gutachter eine Studie über [die] Schädlichkeit des Rauchens zu erstellen..."

Zwar schreibt die FIRU in ihrem "Compliance-Programm" u.a.: „FIRU-mbH ist den Grundsätzen der Transparenz, ….. auch bei der Bearbeitung von Aufträgen … verpflichtet.", doch verschweigen alle Beteiligten die engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen FIRU und ECE.

Den Bürgern in der ATSV-Halle war jedenfalls bereits nach kurzer Zeit die Parteilichkeit des "Moderators" Andreas Jacob zugunsten des ECE-Projekts klar geworden und sie äußerten ihren Unmut.

Doch das scheint weder den Gemeinderat, noch den Bürgermeister und auch nicht den Inhaber der "Stabsstelle Ortsentwicklung", Robert König, zu kümmern. Letzterer war in der Folge angeblicher Versäumnisse beim Bau des Hauses für Kinder als Leiter des Bauamts abgelöst worden und verantwortet nun die Organisation und Durchführung der "Bürgerbeteiligung" in vier Arbeitskreisen - geleitet von der FIRU…

Die zweite Sitzungsrunde dieser Arbeitskreise fand am 3. Dezember 2022 statt. Doch wer erwartet hatte, dass über die kurz-, mittel- und langfristigen finanziellen Auswirkungen auf den Gemeindehaushalt, die Ortssteuern und Abgaben gesprochen wird oder darüber, ob die sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen durch den Zustrom Tausender Ortsfremder überhaupt bewältigbar sind, der sah sich enttäuscht.

- Müssen demnächst weitere Ortsteile videoüberwacht werden, so wie jetzt der Marktplatz?
- Wer zahlt die wohl notwendige Erweiterung der Trinkwasserversorgung durch einen weiteren Brunnen?
- Warum wird jetzt eine teure Notversorgung mit dem WBV Eglharting geplant, wenn diese für den Zuwachs gar nicht ausreicht?
- Warum wird überhaupt weiter geplant, obwohl die Erschließung nachweislich nicht gewährleistet ist?
- Müssen die Anwohner zur Verbreiterung der Erschließungsstraßen und der B304 mit Enteignungen rechnen?
- Wie reagiert der lokale Immobilienmarkt auf die vielen neuen Wohnungen?
- Droht einigen kleinen Haus- und Wohnungsbesitzern deswegen die Privatinsolvenz?

Es reicht der Platz nicht, um all die wichtigen Themen aufzulisten, über die die Kirchseeoner informiert werden müssten, um sich eine objektive Meinung über das Projekt bilden zu können. Von Transparenz wird zwar ständig geredet, aber sie ist nicht zu sehen: gutachterliche Stellungnahmen werden unterdrückt, Auskünfte ohne Begründung oder wegen angeblicher Urheberrechte verweigert und der Bürgermeister und die ECE geben nur gefilterte Informationen heraus.

So entsteht der böse Eindruck, dass die Kirchseeoner mit nicht finanzierbaren Träumen von einem neuen Rathaus, einem Kulturzentrum, einem Haus für Vereine, Schulen, Kita und vagen Andeutungen von der "Chance für den Ort" so verwirrt werden sollen, dass sie bei einem etwaigen Bürgerentscheid nur noch das "Ja"-Feld sehen. Fakten würden da nur stören.


Dieser Artikel ist eine korrigierte und fortgeschriebene Fassung der in der Zeitschrift "Der Oberbayer", Heft Januar 2023, erschienenen Erstversion. Artikel mit lokalem Bezug aus dieser Zeitschrift werden mit ein paar Wochen Verzögerung an dieser Stelle abgedruckt. Den Beitrag in der aktuellen Ausgabe finden Sie auf der Seite http://www.kirchseeon-intern.de/der-oberbayer.htm oder auf "Der Oberbayer"




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