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Februar 2021
Bayerische Staatsgüter Osterseeon, Marktgemeinde Kirchseeon
Bayerische Staatsgüter Osterseeon, Marktgemeinde Kirchseeon

Kann man Strom essen?

Im Jahr 1939 wurde im Zuge einer reichsweiten Gebietsreform die Gemeinde Kirchseeon gegründet. Der damalige Markt Ebersberg musste dafür im Westen große Flächen von Pötting und Reitgesing bis hin zum Schwellenwerksgelände in Kirchseeon abtreten. Sicherlich sitzen 82 Jahre danach im Ebersberger Stadtrat keine "Revisionisten" mehr, die diese Gebietsabtretung gerne rückgängig machen wollten. Wenn sich aber einige Stadträte seit dem Sommer 2020 im Rahmen der Erarbeitung eines Ebersberger städtebaulichen Entwicklungskonzept für Freiflächen-Photovoltaikanlage (PV)-Anlagen wiederholt öffentlich für die Errichtung einer solchen Anlage auf den Fluren ihres Nachbarn Kirchseeon, nämlich auf den Grundstücken der Bayerischen Staatsgüter in Osterseeon, aussprechen, dann wirft das doch Fragen auf.

Ist das eine neue Variante des St.-Florian-Prinzips, das man schon von den Windkraftplänen im Landkreis kennt – nur dass diesmal die landschaftsverschandelnde Anlage nicht nahe der gemeisamen Grenze, sondern gleich ganz auf dem Gebiet der Nachbargemeinde gebaut werden soll? Oder handelt es sich "nur" um eine Missachtung der Planungshoheit der Bewohner und der politischen Gremien des westlichen Nachbarn?

Die Ebersberger Stadträtin und Landtagsabgeordnete Doris Rauscher (SPD), deren Kompetenz und Engagement in der Sozialpolitik unbestritten ist, scheint von der Idee, PV-Anlagen auf dem Gebiet ihrer Nachbargemeinde zu bauen, so überzeugt zu sein, dass sie die Bayerische Staatsregierung am 30.07.2020 fragte, ob sich diese vorstellen könne, Flächen des Staatlichen Versuchsguts in Osterseeon für den Betrieb einer PV-Freiflächenanlage zur Verfügung stellen zu können.

Die Bayerische Staatsregierung teilte ihr am 18.12.2020 (LT-Drs. 18/9606) mit:
"Auf der Versuchsstation Osterseeon werden umfangreiche pflanzenbauliche Versuche durchgeführt. Die Versuchsflächen selbst und die dafür notwendigen versuchsvorbereitenden Flächen beanspruchen den weit überwiegenden Teil der Betriebsfläche. Aus Sicht der Bayerischen Staatsgüter wäre möglicherweise jedoch eine Teilfläche von ca. 5 ha für eine Freiflächenphotovoltaikanlage geeignet. Dazu müssten jedoch exakte Standort- und Nutzungsüberprüfungen inklusive Folgenabschätzungen für den Gesamtbetrieb Bayerische Staatsgüter durchgeführt werden, da eine mögliche Nutzung als Photovoltaik-Freilandflächen mit Öko- und Agrarökomaßnahmen sowie mit anderen regenerativen Nutzungen (Kurzumtriebsplantagen, Biogasmais etc.) konkurriert...
Bei einer Größe von 5 ha könnte – abhängig von der Anlagengröße – eine Leistung von 2,5 bis 5 MW Nennleistung realisiert werden...
Gespräche zur Errichtung einer Freiflächenphotovoltaikanlage auf dem Versuchsgut Osterseeon wurden bislang nicht geführt."

Der Geschäftsführer der Bayerischen Staatsgüter, Dr. Lindermayer, relativierte auf Anfrage diese Aussagen wieder etwas, indem er mitteilte:
"Alle BaySG-Flächen werden grundsätzlich für Versuchs-, Futter-, Gülle-, Ausgleichsmaßnahmen usw. benötigt. Folglich ist die Entbehrlichkeit von Flächen in Osterseeon für Drittnutzungen im Zusammenhang mit dem Gesamtbetrieb und dessen Aufgaben zu sehen und muss erst überprüft werden. Selbstverständlich spielen auch betriebswirtschaftliche Überlegungen eine Rolle. Ein Gespräch zum Thema PV-Anlage auf der Versuchsstation Osterseeon hat es bisher nicht gegeben."

Auch die Stadt Ebersberg bestätigt, dass es bisher keine Kontakte mit den Bayerischen Staatsgütern gab. Gleichzeitig wurde von einem ersten Gespräch zwischen dem Ebersberger und dem Kirchseeoner Bürgermeister im November 2020, also lange nach dem Beginn der Initiative im Ebersberger Stadtrat, berichtet. Die Bürgermeister Proske und Paeplow verständigten sich darauf, zunächst eine Freiflächenstandortanalyse abzuwarten. Wer eine solche beauftragen soll oder schon beauftragt hat, wurde nicht mitgeteilt.

Ebenso wie beim Maisanbau zur Produktion von Strom aus Biogas oder der Erzeugung von Getreide und Rapsöl für Heizzwecke oder als Dieselersatz, besteht auch bei Freiflächen-PV-Anlagen eine Flächenkonkurrenz zwischen der landwirtschaftlichen Produktion zur Ernährung von 80 Mio. Menschen im dicht besiedelten Deutschland und Projekten der "Energiewende" und des "Klimaschutzes". Doch ist es sinnvoll, nun ausgerechnet Flächen der Versuchsstation Osterseeon, auf denen Sortenversuche, Düngungs- und Pflanzenschutzversuche zur Unterstützung des ökologischen Landbaus bis hin zu Versuchen des Energiepflanzenanbaus durchgeführt werden, in PV-Anlagen umzuwandeln? Unbestritten dürfte jedenfalls sein, dass die Forschung über den Einfluss des Klimawandels auf die landwirtschaftliche Produktion und die Möglichkeiten der Anpassung unverzichtbar ist. Denn eine ausreichende Nahrungsmittelproduktion muss auch bei einem künftig verändertem Klima sichergestellt sein.

Derzeit muss Deutschland über 70% des Primärenergiebedarfs durch Importe abdecken. Der im Sommer 2020 vorgestellte Nationale Energie- und Klimaplan der Bundesregierung sieht trotz insgesamt sinkendem Energiebedarf auch bis 2040 weiterhin eine so hohe Importabhängigkeit vor: in der Nationalen Wasserstoffstrategie plant die Bundesregierung bis 2050 den Import auf jährlich 40 Millionen Tonnen Wasserstoff zu steigern, vorzugsweise grün und nicht blau, grau oder türkis.

Bei den Nahrungsmitteln ist die Importabhängigkeit zwar insgesamt nicht ganz so hoch, aber nur bei Weizen und Gerste sowie bei Kartoffeln und Zuckerrüben reichen die deutschen Ackerflächen in guten Jahren für eine Selbstversorgung aus. Bei Ölsaaten wie Raps, vor allem aber bei den meisten Gemüsesorten und sogar bei Äpfeln müssten die Deutschen ohne Importe (ver)hungern. Die politisch angestrebte Ausweitung des ökologischen Landbaus wird wegen der geringeren Erträge die Importabhängigkeit noch weiter erhöhen. An eine deutliche Ausweitung des hiesigen Anbaus von GVO-freiem Soja mit dem Ziel der Reduzierung der hohen Importabhängigkeit bei Soja-Futtermitteln und Schutz der brasilianischen Regenwälder braucht man ohne eine Vergrößerung der landwirtschaftlichen Nutzflächen hierzulande gar nicht denken.

In den Landkreisgemeinden, im Landratsamt und im Kreistag meint man jedoch immer noch, dass das Ziel der Dekarbonisierung und Energieautarkie des Landkreises bis 2030, erstmals 2006 beschlossen, ein so überragend wichtiges wäre, dass dafür sogar riesige landwirtschaftliche und Naturflächen geopfert werden müssten. Wie realitätsfern dieses Vorhaben jedoch ist, zeigt sich alle paar Jahre wieder, wenn das Landratsamt erneut die Nichterreichung der "Meilensteine" eingestehen muss.

Strom kann man nicht essen, daher ist ohne eine ausreichende Nahrungsmittelproduktion ein Überleben nicht möglich. Der Anerkennung dieser banalen Realität steht jedoch das eigenwirtschaftliche Interesse vieler Mandatsträger in den kommunalen Gremien, an der Spitze des Landratsamts und bei inzwischen zahllosen Profiteuren in kommunalen GmbHs und Genossenschaften entgegen.

Zum Glück gehört unser Landkreis zu den wenigen in Deutschland, die in den letzten Jahren meist ausreichend Niederschläge hatten. Bei zunehmendem Klimawandel werden wir für jeden Hektar dankbar sein müssen, der noch landwirtschaftlich nutzbar ist und nicht für Freiflächen-PV-Anlagen verschwendet wurde.


Dieser Artikel ist eine fortgeschriebene Fassung der in der Zeitschrift "Der Oberbayer", Heft Februar 2021, erschienenen Erstversion. Artikel mit lokalem Bezug aus dieser Zeitschrift werden mit ein paar Wochen Verzögerung an dieser Stelle abgedruckt. Den Beitrag in der aktuellen Ausgabe finden Sie auf der Seite http://www.kirchseeon-intern.de/der-oberbayer.htm

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