Kirchseeon-intern.de - Wissens- und Sehenswertes über Kirchseeon


Januar 2022

Blick auf IVECO-Gelände von Süden im Herbst 2021

Der neue Investor

Im Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung des Kirchseeoner Gemeinderats vom 2. August 2021 steht unter TOP 2:


Die Firmengruppe ECE Work & Live gehört zur verschachtelten Hamburger Immobilienholding der Familie Otto. Der Pressesprecher der ECE Group Services GmbH & Co. KG bestätigte auf Anfrage die seit einem halben Jahr unter Ausschluß der Öffentlichkeit laufenden Geheimgespräche: "... ist auch Kirchseeon ein spannender und attraktiver Ort für die ECE Work & Live, an dem wir uns grundsätzlich vorstellen können, ein neues städtebauliches Nutzungskonzept zu entwickeln und umzusetzen, und zu dieser Idee auch im Austausch mit der Gemeinde stehen."

Welche genaue Firma der Firmengruppe ECE Work & Live, von denen einige erst im Herbst 2020 gegründet wurden, die Gespräche führt, wollte der Pressesprecher nicht mitteilen und scheint auch anderen behördlichen Beteiligten nicht klar zu sein. Auch ist angesichts der niedrigen Stammkapitale bislang unklar, aus welchen Quellen die für eine Sanierung und Bebauung erforderlichen, sehr erheblichen Finanzmittel kommen sollen.

Die Nachfolgenutzung des stark mit Altlasten verseuchten Grundstücks, die vom ehem. Schwellenwerk und dem später dort betriebenen Pkw- und Lkw-Auslieferungslager von Fiat bzw. IVECO stammen, beschäftigt die Kirchseeoner seit Jahrzehnten. Derzeitiger Eigentümer des 16 Hektar großen Areals ist die "EFFE" Grundbesitzgesellschaft mbH, Ulm, HRB 1126, mit einem Stammkapital von rund 10 Mio. EUR. Deren alleinige Gesellschafter sind die IVECO-Töchter Iveco Investitions GmbH, Ulm, mit 90% und FCA Partecipazioni S.p.A., Turin mit 10% Anteil. Das brachliegende Grundstück steht mit einem Buchwert von 5,3 Mio. EUR in der Bilanz.

Alle paar Jahre trat ein neuer Investor auf die Bühne. Deren Namen wie die ADIS AG und der Cherokee Investment Fonds (2002) oder die Colliers International Deutschland GmbH (2013) sind schon lange wieder vergessen, weil sie immer wieder ganz schnell das Handtuch warfen, als ihnen die Kosten und Risiken der Altlastenbeseitigung klar wurden. Aber ohne Sanierung ist eine Bebauung nicht möglich. Daran scheiterte auch die Aufstellung eines Bebauungsplans im Jahr 2004.

Die Bemühungen des Landratsamts Ebersberg (LRA) richteten sich daher primär darauf, ein weiteres Abströmen des mit Teerölen und Quecksilber kontaminierten Grundwassers aus dem Areal zu begrenzen. Gerichtlich war geklärt worden, dass das Bundeseisenbahnvermögen (BEV) als Rechtsnachfolger der Verursacher, der Bayerischen Staatseisenbahn und der Reichsbahn, für die Sicherung und Sanierung der Altlast aufzukommen hat.

Zwischen dem LRA und dem BEV wurde in einem mehrfach aktualisierten öffentlich-rechtlichen Vertrag vereinbart, dass nunmehr über acht Förderbrunnen jährlich 830.000 Kubikmeter kontaminiertes Grundwasser gefördert, gereinigt und im Westen des Areals in drei Brunnen wieder versickert werden. Ein konkretes zeitliches Ende sieht der Vertrag nicht vor, statt dessen werden zu erreichende Sanierungsziele definiert (u.a. weniger als 2 Liter Teerölphase im Monat).

Weiter steht im nichtöffentlichen Protokoll des Kirchseeoner Gemeinderats vom 2. August 2021:
"Im nichtöffentlichen Teil der Sitzung des Marktgemeinderates vom 12.07.2021 fand eine kurze Aussprache statt. Eine große Mehrheit der Gemeinderäte sprach sich positiv zu einem weiteren Vorgehen zur möglichen Überplanung aus, die Durchführung weiterer Workshops wurde einvernehmlich vereinbart.

Bereits jetzt stellen sich grundlegende Fragen zum Verkehr, Schallschutz, Naturschutz, etc., die zeitnah als Grundlage für mögliche weitere Planungsschritte nötig sind. In einem ersten Schritt wird der Erste Bürgermeister im Rahmen der Geschäftsordnung einen Auftrag für verkehrliche Untersuchungen an das Fachbüro Schlothauer und Wauer in Haar über gut 17 Tsd. Euro brutto vergeben. Die Fa. ECE Work & Live ist zur Kostenübernahme bereit, eine Kostenübernahmevereinbarung wird derzeit verhandelt.

Weitere fachgutachterliche Untersuchungen und Stellungnahmen sind dringend erforderlich, um belastbare Aussagen als Grundlage weiterer Planungs- und Entscheidungsschritte zu erhalten. Auswahl und Auftragsvergaben sollen weiterhin über den Markt Kirchseeon erfolgen. Die Kostenübernahmen hierfür und auch für anwaltliche Kosten, Moderationskosten u.a. können durch Kostenübernahmevereinbarungen durch den Investor/Vorhabensträger, hier die ECE Work & Live, erfolgen. Die Vertreter der Fa. ECE haben in Gesprächen bereits ihre Bereitschaft zum Abschluss eines entsprechenden Vertrages erklärt, der noch zu verhandeln sein wird."


Inzwischen hat auch das BEV den in seinem Eigentum befindlichen und ebenfalls stark kontaminierten Grundstückstreifen zwischen IVECO-Gelände und Bahntrasse (ca. 4 Hektar) der Gemeinde für eine Gesamtplanung und -bebauung zum Kauf angeboten.

Die erwähnte "verkehrliche Untersuchung" wurde bereits im September/Oktober mittels Videokameras, die an zahlreichen innerörtlichen Kreuzungen an Lichtmasten montiert waren, durchgeführt. Laut Auskunft der Haarer Firma liegt der Abschlussbericht der Gemeinde bereits vor, aber eine Einsicht wird von Bürgermeister Jan Paeplow verweigert. Auch auf seine Antworten auf Fragen zu den Geheimgesprächen und darauf, ob der Bau von Wohnungen für bis zu 3000 zusätzliche Einwohner, d.h. ein Zuwachs um 30% der Bevölkerung, überhaupt im Interesse der Gesamtgemeinde sein kann sowie wann die Bürger endlich informiert und beteiligt werden, warten die Kirchseeoner bisher vergebens.

Wie schrieben doch im Jahr 2020 der damalige Bürgermeisterkandidat Jan Paeplow und die Eglhartinger CSU in ihrem "KirchseeonPlan"?
Tatsächlich aber war eine der ersten Amtshandlungen des neugewählten Bürgermeisters Paeplow im Mai 2021 ein "Maulkorberlass" für die Verwaltungsmitarbeiter...

Und als in der Dezember-Gemeinderatssitzung Bürgerfragen zum Verdacht auf Korruption bei der Ausschreibung und Vergabe der Beschaffung der Lüftungsgeräte für die Schule an die Firma des CSU-Gemeinderatsmitglieds Siegfried Seidinger gestellt wurden, stellte Paeplow einfach das Mikrofon ab und entzog dem Fragesteller das Wort – und Antworten gab es keine.

Zählen Bürgerrechte in Kirchseeon noch?


Dieser Artikel ist eine fortgeschriebene Fassung der in der Zeitschrift "Der Oberbayer", Heft Januar 2022, erschienenen Erstversion. Artikel mit lokalem Bezug aus dieser Zeitschrift werden mit ein paar Wochen Verzögerung an dieser Stelle abgedruckt. Den Beitrag in der aktuellen Ausgabe finden Sie auf der Seite http://www.kirchseeon-intern.de/der-oberbayer.htm

Diese Webseiten werden fortlaufend erweitert und ergänzt.


  © 2011-2022 · L. Steininger · E-Mailemail senden