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Mai 2024

Mafiageld in der Gemeindekasse?

Zur besseren Bekämpfung der Geldwäsche haben sich das Europaparlament und die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten im Januar 2024 auf eine Barzahlungsobergrenze von 10.000 Euro verständigt. Am 24. April 2024 hat das Europaparlament ein Paket von EU-Vorschriften zur Bekämpfung der Geldwäsche verabschiedet. Bereits im Dezember 2023 hatten sie sich auf die Einrichtung einer neuen Behörde für die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung (AMLA) mit Sitz in Frankfurt verständigt.

Dass die politische Diskussion über die Begrenzung von Bargeldgeschäften erneut angefacht worden war und diese Entscheidungen, gegen die sich Deutschland lange gewehrt hatte, nun doch rasch fielen, hat sehr viel mit Ereignissen zu tun, über die Presse, Rundfunk und Fernsehen im vorigen Jahr unter dem Kennwort "Black Steel" berichtet hatten. Wenig Beachtung fand bisher, dass eine Firma im Kirchseeoner Ortsteil Eglharting eine Hauptrolle darin spielte:

Durch die Auswertung der sog. Paradise Papers waren Ermittlungsbehörden auf ein internationales Firmengeflecht aufmerksam geworden, das "wirtschaftlich nicht nachvollziehbare Geldbewegungen" tätigte. Nach weiteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaften München (StA Mü I), Mailand und Reggio Calabria waren am 15. Februar 2023 in einer von Eurojust (Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit bei der Verfolgung grenzüberschreitender Straftaten) koordinierten Aktion von den Carabinieri per la Tutela Ambientale e la Transizione Ecologica (Mailänder Umweltschutzpolizei) und dem Bundeskriminalamt in Italien und Deutschland 40 Objekte durchsucht und 14 Personen festgenommen worden; gegen vier Verdächtige wurde Hausarrest verhängt. Vermögenswerte in Höhe von 90 Millionen Euro wurden beschlagnahmt.

In München wurde der ehemalige Geschäftsführer und Prokurist einer zeitweilig in Eglharting ansässigen Firma festgenommen. Der Verhaftete wohnte viele Jahre in Kirchseeon, kurzzeitig auch in Grafing.

Ihnen wird illegaler Handel mit Sonderabfällen und Geldwäsche vorgeworfen. Zu diesem Zweck sollen vom Hauptakteur, einem Mailänder Schrotthandelsunternehmer kalabrischer Herkunft, Firmen mit Sitz in Eglharting wie auch in Tschechien und Ungarn gegründet und betrieben worden sein. Sein "Geschäftsmodell" bestand angeblich darin, sondermüllbelastete Schrotte von Eisen und Nichteisenmetallen in Italien "unter Verstößen gegen umweltrechtliche Bestimmungen, aber auch unter Anwendung von Methoden der organisierten Kriminalität illegal mit Bargeld eingekauft" und ungereinigt an italienische Stahlwerke und Gießereien weiterverkauft zu haben.

Um die wahre Herkunft der Schrotte zu verschleiern und gegenüber den Abnehmern den Eindruck einwandfreier Ware zu erwecken, war Ende 2015 eine GmbH mit Sitz in Eglharting, Bucher Straße 2-4 gegründet worden, deren Geschäftszweck laut Handelsregistereintrag der "Handel mit Rohstoffen, Metallprodukten und Baumaterial" war. Im Internetarchiv kann man noch einige Seite der 2023 gelöschten Internetdomain finden, auf denen die Firma ihre Leistungen im Bereich Ankauf und Verwertung von Eisen- und Nichteisenschrotten anbot.

Auf dem Papier wurde der Eindruck erweckt, dass die Schrotte in Osteuropa eingekauft und an die Mailänder Firma weiterverkauft worden seien. Von 2016 bis 2019 wurden für diese Scheinlieferungen fast 70 Millionen Euro von Italien nach Deutschland überwiesen, die man sich bei zwei Münchner Banken in bar auszahlen ließ, darunter bis zu 900.000 Euro an einem einzigen Tag. Angeblich sollten damit die Lieferungen aus Osteuropa bezahlt werden. Das Bargeld wurde aber nach Italien verbracht, um wieder in den Geldwäsche-Kreislauf eingeschleust zu werden.

Nach Berichten italienischer Zeitungen soll ein Teil dieser Gelder auch in den Kauf der Mehrheitsanteile des B-Klasse Fußballvereins Novara Calcio 1908, der 2011 in einen Fußballwett-Skandal verwickelt war, geflossen sein, dessen Präsident der Mailänder Unternehmer zeitweise war. Im Jahr 2022 wurde der Club insolvent.

Leider wollte sich der Eigentümer der Bucher Straße 2-4, die im Gebiet des Bebauungsplans Nr. 51 "Hörmanngelände" liegt, nicht dazu äußern, was nach seinen Wahrnehmungen von der Firma auf den vermieteten Flächen und in den Räumlichkeiten gemacht wurde und ob dort womöglich illegalerweise auch Sonderabfälle gelagert oder gar bearbeitet wurden. Aus "gut informierten Kreisen" war nämlich zu vernehmen, dass die Eglhartinger Firma keineswegs nur "virtuelle", sondern auch reale Geschäfte mit Eisenschrott abgewickelt haben soll. Und einige Medien vermuteten gar, dass Schrotttransporte auch über die Bucher Straße 2-4 gelaufen sein könnten.

Jedenfalls scheinen die Ermittlungen der StA Mü I schon weit fortgeschritten zu sein, da hiesige Betroffene bereits über beendete Telefonüberwachungen informiert wurden und der in München Festgenommene im Dezember schon auf dem dortigen Christkindlmarkt gesehen worden sein soll.

Ermittelt wird von der StA Mü I wohl noch gegen einen ehemaligen Steuerberater, der für die Eglhartinger Firma die Jahresabschlüsse für 2016 und 2017 angefertigt und bei den Finanzbehörden eingereicht hat. Es wird ihm daher Geldwäsche, versuchte Strafvereitelung und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen.

Die von ihm erstellten Jahresabschlüsse wurden im Bundesanzeiger veröffentlicht. Für die Jahre 2016 bis 2018, in denen die Firma ihren Sitz in Eglharting hatte, bevor sie nach München umzog, sind erhebliche Überschüsse ausgewiesen. Daher könnte es einen unerwarteten Profiteur dieser vermuteten Straftaten geben, nämlich das Kirchseeoner Rathaus. Denn der Markt Kirchseeon dürfte wohl Gewerbesteuerzahlungen auf die (Schein)Gewinne der Eglhartinger Firma erhalten haben – doch zum Stopfen der riesigen Haushaltslöcher reichen sie bei Weitem nicht.


Dieser Artikel ist eine fortgeschriebene Fassung der in der Zeitschrift "Der Oberbayer", Heft Mai 2024, erschienenen Erstversion. Artikel mit lokalem Bezug aus dieser Zeitschrift werden mit ein paar Wochen Verzögerung an dieser Stelle abgedruckt. Den Beitrag in der aktuellen Ausgabe finden Sie auf der Seite http://www.kirchseeon-intern.de/der-oberbayer.htm oder auf "Der Oberbayer"




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